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Henri Band

Die Liebe in Zeiten des postmodernen Konsumkapitalismus

Rezension von: Eva Illouz: Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus. Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 2003. Erschienen in: Marx-Engels-Jahrbuch 2004. Hrsg. von der Internationalen Marx-Engels-Stiftung Amsterdam. Berlin: Akademie Verlag 2005, S. 262-268. Leicht verändert.

© Henri Band

Für Karl Marx und Friedrich Engels war die kapitalistische Gesellschaft eine liebesfeindliche Gesellschaft. Die Zerstörung aller feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse durch die zur Herrschaft gelangten Bourgeoisie schloss die Geschlechterverhältnisse mit ein. Auch zwischen Mann und Frau hat die Bourgeoisie kein anderes Band übriggelassen als das nackte Interesse, die gefühllose bare Zahlung. In der auf Privateigentum und Ausbeutung gegründeten bürgerlichen Gesellschaft führen nicht die Liebe, sondern das Geld, nicht die gegenseitige Zuneigung, sondern die ökonomische Abhängigkeit Männer und Frauen zur außerehelichen oder innerehelichen Prostitution zusammen. Erst in einer nachbürgerlichen Gesellschaftsordnung, in der die Suprematie der privatkapitalistischen Ökonomie und mit ihr die Vorherrschaft des Mannes beseitigt sind, werden sich die Menschen nur mit Rücksicht auf den Grad ihrer Zuneigung zu einem anderen Menschen verlieben oder entlieben und nur jene Ehen als sittlich gelten, die auf der Liebe beider Partner beruhen.[1]

Diese These von der prinzipiellen Unvereinbarkeit von Liebe und Kapitalismus und der Korrumpierung der Geschlechterbeziehungen durch die bürgerliche Ökonomie haben viele Gesellschafts- und Ideologiekritiker aufgegriffen: vor allem Vertreter der Frankfurter Schule, aber auch konservative Kulturkritiker, radikale Feministinnen und einige Theoretiker der Postmoderne. Das Buch von Eva Illouz „Der Konsum der Romantik“ – die amerikanische Originalausgabe erschien bereits 1997 unter dem Titel „Consuming the Romantic Utopia“ – versteht sich als soziologische Kritik des Mythos vom Niedergang der Liebe in Zeiten des Kapitalismus. Marx’ Diagnose einer durchdringenden Kommerzialisierung des Lebens und der zwischenmenschlichen Beziehungen teilt die Autorin durchaus. Doch hatte dieser Prozess nicht bloß negative Folgen für das Liebesleben, wie die Gesellschaftskritiker unterstellen. Um das janusköpfige Wesen des Kapitalismus wusste auch Marx, aber er scheute sich, daraus die theoretischen Konsequenzen zu ziehen: Der Kapitalismus muss sich nicht erst selbst abschaffen, um Massenwohlstand, individuelles Glück und freie Liebe zu ermöglichen. Aber er kann es natürlich darauf anlegen.

Illouz geht der Frage nach, wie Liebe, Kultur, Ökonomie und Konsum im Spätkapitalismus miteinander verbunden sind und welche Auswirkungen sich daraus für die Liebesbeziehungen von Paaren ergeben. Ihre Antwort lautet: Liebe und Kapitalismus beeinflussen sich nicht nur wechselseitig, sondern setzen sich heute sogar in einem gewissen Grade gegenseitig voraus. Der Ort, wo Liebe und Kapitalismus direkt aufeinandertreffen, ist der Freizeit-, Konsum- und Medienmarkt. Indem der postmoderne Kapitalismus in der Konsumsphäre die romantische Liebe zelebriert und ausbeutet, trägt er selbst zur Verbreitung und Reproduktion dieses Liebesideals und zur Individualisierung des Glücksstrebens bei. Illouz insistiert auf der utopischen und emanzipatorischen Dimension der Liebe auch im Kapitalismus, allen Vermarktlichungspro­zessen zum Trotz. Das kommerzialisierte romantische Glücksversprechen operiert allenthalben mit Versatzstücken, Klischees und Illusionen und ist doch nicht einfach nur verlogen und manipulativ, denn es wurzelt in tiefsitzenden Wünschen und Sehnsüchten. Deshalb ist die Liebe auch nicht totzukriegen und eine der wirkungsmächtigsten Mythologien unserer Zeit.

Illouz greift bei ihrer Untersuchung u.a. auf Werbebotschaften, Ratgeberbücher und Romanerzählungen zurück. Die Hauptquelle empirischen Materials bilden aber qualitative Interviews mit 50 Personen, die sie zu ihren Auffassungen von einer romantischen Liebe sowie zu ihrem Liebesleben befragt und denen sie Fotos, Liebesgeschichten und Grußkarten zur Kommentierung und Interpretation vorgelegt hat.

Im erster Teil ihres Buches zeigt die Autorin, dass sich die Überschneidung von Liebe und Markt durch zwei Prozesse vollzieht: die Romantisierung der Waren und die Kommodifizierung der romantischen Liebe. (S. 28) Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts entsteht in Amerika eine moderne Kultur- und Freizeitindustrie, die den Konsum als Gegenwelt zur Arbeitssphäre inszeniert. Sie bedient sich dabei einer Rhetorik und Ästhetik des Genusses, des persönlichen Glücks, der freien Wahl und der Liebe. Darüber hinaus bietet der Markt immer mehr Güter und Dienstleistungen an, die sich zur konsumvermittelten Konstruktion romantischer Augenblicke eignen. Auf diese Weise treibt der Konsumkapitalismus die Säkularisierung und Popularisierung des romantischen Liebesideals voran. Illouz illustriert diese Entwicklung am Beispiel der Ablösung der Institution des Vorsprechens vor der Familie der Braut durch das selbstbestimmte Rendezvous (dating) junger Männer und Frauen. Diese kulturelle Revolution war zugleich eine der Geschlechter- und Konsumverhältnisse. Das Miteinander-Ausgehen als die häufigste Form des Rendezvous stammte zunächst aus der Arbeiterklasse und wurde dann von den Mittelschichten adaptiert und kultiviert. Die Vermarktung neuer Freizeitaktivitäten verschaffte den jungen Paaren eine Vielzahl von Orten, an denen sie weitgehend ungestört dem vorehelichen Liebesspiel huldigen konnten: Kinos, Tanzpaläste, Vergnügungsparks, Restaurants und vor allem das Auto. Kapitalistische Freizeitunternehmer untergruben die alte Moral der Mittelschichten im Namen des Hedonismus und trugen damit zur Umwälzung der Verhaltensweisen und Werte aller Schichten bei. Die moderne Industriegesellschaft entwickelte sich zu einer nachbürgerlichen, aber eben zu keiner postkapitalistischen Konsumgesellschaft, in der es mehr Verliebte zu geben scheint, als in jeder anderen Gesellschaftsordnung zuvor.

Um die hochgradig konsumvermittelte Konstruktion romantischer Augenblicke näher zu analysieren, greift die Autorin auf Theorieversatzstücke von Emile Durkheim und Victor Turner zurück. Mittels symbolischer Grenzziehungen und liminaler Rituale wird die säkularisierte Liebe von den Akteuren resakralisiert und zu einem außeralltäglichen Erlebnis aufgewertet. Dabei bedienen sie sich der massenkulturellen Konsumangebote und Topoi, um das Gefühl des Verliebtseins hervorzurufen bzw. sich dieses Gefühls zu versichern – z.B. durch ein Candlelight Dinner, einen Kinobesuch, eine gemeinsame Reise oder die Übernachtung in einem Romantikhotel.

Der zweite Teil der Studie widmet sich der postmodernen Verfassung der Liebe. Das romantische Glück ist nicht ungetrübt, sondern steht unter dem Druck von widersprüchlichen Diskursen, die die Liebesbeziehungen beeinflussen. Das auch im Alltag vorhandene Wissen um die Konstruiertheit von romantischen Augenblicken und Empfindungen führt zur Verunsicherung über die Authentizität dieser Gefühle. Hinzu kommen die hohen und oftmals inkompatiblen Erwartungen, die die Menschen an eine Liebe und Partnerschaft stellen. Die Beziehung zwischen Liebespraxis, autobiographischem Liebesdiskurs, Geschichten der Massenmedien und Glücksversprechungen der Konsumkultur erweist sich als prekär. Der Siegeszug der Liebessemantik geht mit einer Blüte an therapeutischen Diskursen einher.

Die Postmoderne zeichnet sich nach Ansicht der Autorin durch eine Vorrangstellung der Liebesaffäre aus. „Mit ihrem transitorischen Charakter und ihrer Betonung von Vergnügen, Neuheit und Erregung ist die Affäre eine spezifisch postmoderne Erfahrung und enthält eine ‚Gefühlsstruktur‘, die Affinitäten [...] zu den Emotionen und kulturellen Werten aufweist, die von der Konsumsphäre propagiert werden.“ (S. 176)[2] Gleichwohl haben die von Illouz befragten Gewährspersonen realistische und keineswegs abenteuerlich-hedonistische oder abgehoben idealistische Vorstellungen von der Liebe und einer funktionierenden Partnerschaft. Sie glauben nicht vorbehaltlos an die Offenbarung einer einzigen, ewigen, alternativlosen Lebensliebe. Zumindest in ihren autobiographischen Berichten verlieben und entlieben sie sich mit untragischer Leichtigkeit. Angesichts der überbordernden Diskurse über die romantische Liebe und den eigenen, eher prosaischen Liebeserfahrungen neigen die Befragten zu einer ironischen Selbst- und Medienwahrnehmung, ohne dass sie sich von den Narrativen und Stereotypen gänzlich freimachen können. „Die postmoderne Liebe fügt La Rochefoucaulds Behauptung, dass ,sich wenige Leute verlieben würden, wenn sie nicht davon gehört hätten‘, einen wichtigen Aspekt hinzu. In der Postmoderne bezweifeln viele Menschen, dass sie verliebt sind, und zwar gerade deswegen, weil sie zu viel darüber gehört haben.“ (S. 184) Dieses Aperçu findet allerdings in den zitierten Interviewpassagen keinen Rückhalt. An anderer Stelle wird die Autorin präziser und lokalisiert die bindungsscheue Affäre als die primäre romantische Erfahrung von Vertretern jener freien Berufe und neuen Kulturvermittler in den Großstädten, die selbst postmoderne Symbolproduzenten sind und von Berufs wegen glauben, das Neue sei immer besser als das Alte.

Das Buch will aber nicht nur eine Kultursoziologie der Emotionen, der sozialen und kommunikativen Einbettung des Gefühls der Liebe in der postmodernen Konsumgesellschaft sein, sondern auch „die Klasse stärker in den Mittelpunkt des kulturwissenschaftlichen Interesses für die Liebe“ rücken. (S. 23) Bei näherer Betrachtung erweist sich die Liebesrhetorik, die in der Medien- und Konsumwelt inszeniert wird, weder als klassenneutral noch als ökonomiefern. In den jeweiligen Schichten treten die romantischen Liebesvorstellungen in sehr unterschiedlichen soziokulturellen Facetten auf. Dieser Zusammenhang zwischen Liebe und Klasse ist Gegenstand des dritten Teils des Buches, der in der amerikanischen Originalausgabe mit „Business of Love“ überschrieben ist. Im Mittelpunkt steht zum einen die Frage, ob bei aller gleichmacherischer Liebesrhetorik zumindest die Eheschließung weiterhin Kriterien der ökonomischen und sozialen Rationalität folgt, was der populären Auffassung von der bedingungs- und interesselosen Liebe als der wahren Liebe widerspricht. Zum anderen geht Illouz der Frage nach, ob das romantische Liebesmodell für bestimmte Klassen diskriminierende Effekte zeitigt, weil diesen Schichten die Voraussetzungen fehlen und vorenthalten werden, die ein freies Verhältnis zur Liebe und zur Partnerschaft erst möglich machen.

Auf den ersten Blick scheinen die Fakten nicht zusammenzupassen: Die Liebe ist der mit Abstand am häufigsten genannte Grund für eine Eheschließung, mit weiter zunehmender Tendenz. Gleichwohl belegen die Daten das Fortbestehen der Klassenendogamie. In und durch die Liebe setzen sich also weiterhin traditionelle soziale Reproduktionsstrategien durch. Diesen Widerspruch löst Illouz auf. Man muss kein ökonomisches Kalkül unterstellen, um zu verstehen, was bei der Wahl eines Lebenspartners passiert. Die heutige „romantische Rationalität“ ist eher psychologischer als ökonomischer Natur. Sie behauptet von sich, dass sie nur die persönlichen Qualitäten des zukünftigen Partners bewerte. (S. 196) Bei der Partnerwahl kommen vor allem Kriterien der persönlichen Vortrefflichkeit (Attraktivität und Intelligenz) und Kompatibilität zum Zuge. „Im Mittelpunkt des psychologischen Vokabulars der ,Bedürfnisse‘ steht das Motiv des Eigeninteresses“, des Eigeninteresses an der Befriedigung der persönlichen Präferenzen in einer glücklichen Beziehung. (S. 197) Die Suche nach Erfüllung in einer Partnerschaft mündet mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine schichthomogene Beziehung, ohne dass eine bewusste strategische Überlegung im Spiel sein muss. Denn die persönlichen Qualitäten des Partners sind zu einem erheblichen Teil soziale und kulturelle Qualitäten, die sich einer Sozialisationsgeschichte verdanken. Das Liebesethos der neuen Mittelschichten ist besonders stark von dieser Art von romantischer Rationalität geprägt. Und je aufstiegsorientierter und statusbewusster die Personen sind, desto mehr spielt diese Rationalität in die Partnerwahl und -beziehungen hinein.

Illouz zeigt, dass Geld bei der Partnerwahl, aber mehr noch bei der Dauer einer Partnerschaft, eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Die größte Bedeutung kommt jedoch der „mehr oder weniger sorgfältigen und kontrollierten Bewertung der persönlichen und moralischen Qualitäten“ des (potentiellen) Partners zu. (S. 211) Der zentrale kulturelle Mechanismus, über den die Auswahl des Partners erfolgt, ist die verbale Kommunikation. Diese banal anmutende Tatsache birgt weitreichende Konsequenzen. Die Betonung des Verbalen in der modernen Liebe ist nämlich historisch und sozial spezifisch und wirkt differenzierend. In der westlichen Gesellschaft ist Schweigen längst nicht mehr Gold, schon gar nicht in der Partnerschaft. „Das Ideal der Kommunikation wird als Ideal emotionaler Selbstoffenbarung und Intimität dargestellt und gelebt.“ (S. 214) Die Fähigkeit zum Miteinanderreden und Zuhören gilt inzwischen als wichtigster sozialer Kontaktklebestoff, was die ausführliche Erörterung jedes noch so nebensächlichen Themas und noch so kleinen Problems rechtfertigt. Vor allem aber sollen persönliche Gefühle und Empfindungen (mit)geteilt werden, weil sie als authentischer Ausweis des Ichs gelten. Wer sich dem kleinen Plauschangriff auf die Intimzonen seiner Seele verschließt, hat mit Zweifeln an seiner Liebes- und Artikulationsfähigkeit zu rechnen. Schon wer wenig redet, gilt als kommunikationsgestört, darf also abgewiesen, verlassen oder therapiert werden. Über das Miteinanderreden vollzieht sich die Auswahl eines Partners mit einem passenden (Klassen-)Habitus, der nicht nur attraktiv und intelligent, sondern auch kulturell und bildungsmäßig kompatibel ist, ohne dass sich die daran beteiligten Personen darüber bewusst Rechenschaft ablegen müssen. Das kommunikative Handeln macht es möglich, die soziale Auslese subjektiv als interesseloses Spiel zweier „nur“ miteinander redender Personen zu erleben. Auf diese diskrete und bestimmte Weise vollzieht sich eine Wahl, die persönlich und statusbewusst zugleich ist. (S. 220) Zudem werden von den mittleren und höheren Schichten mit einer Partnerschaft klare Erwartungen an einen bestimmten Lebens- und Konsumstil verknüpft, der ebenfalls starke soziale Selektionseffekte zeitigt. Wie Illouz durch Interviewauszüge überzeugend belegen kann, erfolgt besonders in diesen Schichten die Partnerwahl über den Mechanismus intimer Redseligkeit. Diejenigen, die über viel kulturelles Kapital verfügen, macht die Liebe nicht blind, sondern sehend – manchmal so sehr, dass sie sich auf leidenschaftliche Gefühle der Hingabe nicht mehr verstehen.

Das Liebesethos der oberen Mittelschichten erschöpft sich jedoch nicht in psychologischem Rationalismus, sondern legt großen Wert auf Originalität, Spontaneität und Kreativität in den Liebesbezeugungen. Es reicht nicht, wenn die sozialökonomischen, kulturellen und persönlichen Eckdaten des Partners stimmen. Es soll auch noch knistern und funken, damit sich das Interesse am Anderen stets von Neuem in ein ergreifendes Gefühl verwandeln kann. Nur der Liebende kann überzeugen, der die Interesselosigkeit und Uneigennützigkeit seiner Zuneigung durch romantische Gesten und Liebesgaben demonstriert und dabei nicht strikt nach Feiertagskalender verfährt. Durch die Verknüpfung der romantischen Liebesvorstellung mit der Erwartung emotionaler Außeralltäglichkeit muss sich die Liebe im Alltag immer wieder aufs Neue bewähren – selbst dann noch, wenn man verheiratet ist. Der Hafen der Ehe, wie es früher bezeichnenderweise hieß, soll heute kein letzter Ankerplatz mehr sein, der vor Gefühlsaufwallungen und Abenteuern schützt.

Mit diesem Problem der Bewährung und Bewahrung der Liebe im Alltag kommen die Klassen allerdings sehr unterschiedlich zurecht. Die Dominanz eines verbalen romantischen Kommunikationsideals zeigt die Hegemonie eines Codes an, der nicht klassenneutral ist. In ihrem Schlusskapitel weist Illouz anhand des Interviewmaterials nach, dass es tatsächlich so etwas wie Liebes-Klassen gibt. Obwohl sich alle Schichten in der gemeinsamen Arena des Konsum- und Freizeitmarktes bewegen, unterscheiden sie sich in ihrer Fähigkeit und ihrem Vermögen, den romantischen Liebescode mit Leben zu erfüllen. Die Unterschiede zwischen der Liebespraxis der Arbeiterklasse und der Mittelschichten machen sich in der Phase der Anbahnung einer Partnerschaft kaum bemerkbar, um dann in der Phase der Ehe um so auffälliger hervorzutreten. Die Gewährspersonen aus der Arbeiterklasse werden mit dem Problem, „innerhalb der täglichen Ehebeziehung Intensität zu erzeugen“, deutlich schlechter fertig. „Genau an diesem Punkt, also dort, wo Intensität willentlich und kunstvoll erzeugt werden muss, spielen die Unterschiede beim Einkommen, bei den Freizeitressourcen und bei der Bildung in der politischen Ökonomie der Liebe eine wichtige Rolle.“ (S. 251) Die größere Freiheit und romantische Kompetenz der städtischen Mittelschichten in Liebesdingen wurzelt letztlich in einer größeren Distanz zu den ökonomischen Notwendigkeiten und Zwängen des Alltags. Aufgrund ihrer materiellen und kulturellen Ressourcen fällt es ihnen leichter, die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus im Bereich der Liebesbeziehungen zu managen. (S. 268f.) Doch auch sie sind „zugleich zu vielen Werten verpflichtet“, um das romantische Liebesideal ganz erfüllen und wirklich mehr Sicherheit und Souveränität in ihrem Liebesleben gewinnen zu können. (S. 276)

Der „,Logozentrismus‘ der neuen Mittelschicht“ hat nicht nur „die Standarddefinitionen von Liebesbeziehungen durchdrungen“ (S. 216), sondern auch die Untersuchung von Illouz. Die sexuelle und erotische Dimension der Liebe taucht nur am Rande auf. Möglicherweise geht ja der Aufstieg des Verbalen zum Kommunikationsideal auch im Bereich der Intimbeziehungen mit einem Niedergang des Erotischen einher. Die Interviewfragen kreisen so exzessiv um den Topos der „romantischen“ Liebe, dass sie zwangsläufig die medial aufbereiteten Narrative des Romantischen abrufen. Dadurch wird der Blick auf die Liebespraktiken teilweise verstellt, denen doch das vorrangige Interesse der Autorin gilt. Nach kulturellen Spezifika des amerikanischen Verhältnisses zur Liebe und zur Ehe fahndet sie leider nicht. Die Stärken des Buches liegen im Phänomenologischen, nicht im Begrifflichen. Beim Konsum wird unzureichend zwischen Kauf, Gebrauch und Aneignung unterschieden. Aufmerksame Leser werden immer wieder auf Aussagen stoßen, in denen sich die Autorin selbst widerspricht. Wirklich bedauerlich und nicht nachvollziehbar ist allerdings, dass die deutsche Ausgabe gekürzt und die dreiteilige Gliederung des Originals eliminiert wurde. Im zweiten Teil des Buches wurden die Fotos von Paaren weggelassen, auf die sich viele Aussagen der Befragten und die Interpretationen von Illouz beziehen. Solche Verlagsentscheidungen sind bei einem wissenschaftlichen Werk dieses Ranges inakzeptabel. Die Übersetzung nimmt sich ebenfalls zu viele sprachliche Freiheiten heraus: „commodification“ mit „Verdinglichung“ zu übersetzen, führt den Leser auf die falsche Fährte der Kritischen Theorie, von der sich die Autorin mit ihrer Studie aus guten soziologischen Gründen gerade absetzen will.

Die kommerzialisierte Sprache der individuellen Selbstverwirklichung und der romantischen Liebe ist Illouz zufolge defizitär und emanzipatorisch zugleich. Gefahr droht der Liebe nicht von der Konsumgesellschaft, sondern von einer Variante des Kapitalismus, die sich nicht mehr als demokratische Wohlstandsgesellschaft versteht und Arbeit mit Glück, Kaufen mit Konsum verwechselt.

Literatur

Illouz, Eva (2003): Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus. Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag.

[1] Die Ausführungen von Marx und Engels zu den bürgerlichen Geschlechterbeziehungen und deren Transformation im Kommunismus finden sich verstreut u.a. in den „Ökonomisch-philosophischen Manuskripten“ von Marx (Marx Engels Werke (MEW), Bd. 40, S. 534 f.), dem „Manifest der Kommunistischen Partei“ von Marx und Engels (MEW, Bd. 4, S. 478 f.) und am systematischsten in Engels’ Schrift „Der Usprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ (MEW, Bd. 21, insbes. S. 82 f.).

[2] Dieser enge Konnex von Liebesaffäre, Konsumseligkeit und Erlebnishunger ist stimmig beobachtet, findet sich aber bereits als prämodernes Phänomen in anderen Epochen und Milieus, in denen Konsum und Liebe sich wechselseitig als Inspirationsquellen dienten: so in der höfischen Konsumgesellschaft des 18. Jahrhunderts oder in der Pariser Oberschicht- und Künstlerkultur des 19. Jahrhunderts. Allerdings waren die sozialen und kulturellen Formen des Konsums und der Liebe andere.

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