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Henri Band

Rezension zu: Wolfgang Haible: Schwierigkeiten mit der Massenkultur

Rezension erschienen in: Berliner Debatte INITIAL. Zeitschrift für sozialwissenschaftlichen Diskurs. 6. Jg. (1995) Heft 6, S. 152-154. Leicht verändert.

© Henri Band

Bei der Beschäftigung mit der Geschichte der DDR stößt man immer wieder auf Reiz-Themen, die ihren Reiz aus der Tatsache beziehen, daß sie an sensible Zonen des Selbstverständnisses des Systems und seiner grundlegenden Legitimationsmuster rühren. Um sie ranken sich auffällig viele öffentliche und versteckte Diskurse, die den widerspruchsvollen Problemgehalt der behandelten Sache markieren, ohne ihn gleichwohl in aller Offenheit zur Sprache zu bringen. Eines dieser Themen bildet der Komplex Massen- und Unterhaltungskultur in der sozialistischen Gesellschaft, d. h. einer Gesellschaft, die sich die Befreiung der werktätigen Massen von Ausbeutung und Unterdrückung auf ihre Fahnen geschrieben hat und die im Verlauf ihrer Geschichte unter anderem auch zwischen die Mühlsteine einer internationalisierten Kulturindustrie und den nur schwer mit der historischen Mission in Einklang zu bringenden Kulturbedürfnissen eben jener zum revolutionären Subjekt stilisierten Massen gerät.

Wolfgang Haible hat sich in seiner nunmehr auch als Buch publizierten Dissertation des – schwierigen – Umgangs mit der Massenkultur in der DDR angenommen. Bei seinem Unternehmen beschränkt er sich sachlich auf theoretische Beiträge von Ästhetikern, Soziologen, Kultur-, Kunst- und Medienwissenschaftlern zur Thematik und zeitlich auf die 70er und 80er Jahre. In diesem Zeitraum macht sich – letztlich als Resultat eines wissenschaftlichen Generationenwechsels – eine Auffächerung der Positionen und Forschungsansätze und eine ideologische Entdogmatisierung der Auseinandersetzung mit Phänomenen der modernen Massenkultur bemerkbar. Die kulturkonservativ und ideologisch verbohrten Abwehrkämpfe gegen die als neueste Waffen im internationalen Klassenkampf denunzierten amerikanischen Kulturprodukte gehören weitgehend der Vergangenheit an. Deren Verlogenheit und Unzuträglichkeit für das Bewußtsein der Werktätigen wird nur noch an ausgewählten Produkten der westlichen Unterhaltungsindustrie wie den Fernsehserien Denver-Clan oder Dallas expliziert, die es dem sozialistischen Massenkulturkritiker leicht machen, den morbiden Zustand der amerikanischen Zivilgesellschaft aufzuzeigen – was selbstredend der Popularität dieser Serien auch in der DDR nicht geschadet hat. In Ergänzung hierzu werden die Unterhaltungsprodukte und freizeitkulturellen Aktivitäten im eigenen Lande als etwas entdeckt, das der Ausbildung von allseitig entwickelten Persönlichkeiten und der Steigerung der Arbeitsproduktivität durchaus förderlich sein konnte.

Haible bezieht in seine Studie ein sehr breites Spektrum der in den theoretischen Beiträgen behandelten Gegenstände und diskutierten Probleme ein, angefangen von den Bemühungen um einen weiten, auch den Alltag einbeziehenden Kulturbegriff, die Rehabilitierungs- und Deutungsversuche der Unterhaltungskunst und der Unterhaltungsbedürfnisse, über Fragen des Zusammenhangs zwischen den Unterhaltungsbedürfnissen und der Lebensweise bestimmter Schichten, den Beziehungen zwischen Arbeit und Freizeit und zwischen Massenkultur und Medienkultur, einem kurzen Abstecher in die ästhetische Theorie Lothar Kühnes, der programmatischen Vorstellung von einer sozialistischen Massenkultur, bis hin zu den Themen Standard, Serie und Stereotyp.

Ihren kleinsten gemeinsamen Nenner finden die meisten der vorgestellten Ansätze im Bemühen um einen, wenn auch nicht vollständigen, so doch relativierenden Abbau diverser "Zentrismen" bzw. "Reduktionismen" (Kunst, Ideologie, Arbeit/Reproduktion, allseitige Persönlichkeitsentwicklung), die die Anerkennung des Eigenwertes und die Erkenntnis der Eigenlogik massenkultureller Unterhaltungsprodukte und ihrer sozialen Gebrauchsweisen lange Zeit massiv behinderten. Als Bezugspunkte blieben diese "Zentrismen" allerdings bis zum Ende der DDR Leitthemen der Diskussion um Nutzen und Nachteil der Massen- und Unterhaltungskultur für das Leben im Sozialismus. Hinsichtlich der gewählten Akzentsetzungen und der vorgebrachten Begründungslogiken unterschieden sich die Theoretiker jedoch beträchtlich voneinander. Die Differenzen gründeten in unterschiedlichen Wertbeziehungen zum Sozialismus im allgemeinen und zum untersuchten Gegenstand im besonderen. Zumindest drei Grundpositionen lassen sich aus der Darstellung Haibles herausfiltern:

1. die kulturkonservativ orientierten Theoretiker, die ihre Wertmaßstäbe vom klassischen bürgerlichen Kunst- und Kulturerbe und von der Arbeiterbildungskultur bezogen. Sie standen sowohl der modernen Kunst wie der modernen Massenkultur verständnislos bis ablehnend gegenüber und hielten an der Vorstellung fest, daß die Arbeiterklasse auf ihrem Weg zum Kommunismus die Höhen der Kultur wenn schon nicht zu erstürmen, so doch zu erwandern habe. Ihnen schwebte eine harmonistische Aufhebung der Gegensätze zwischen Arbeit und Freizeit, Kunst und Unterhaltung in einer von allseitig entwickelten Persönlichkeiten getragenen, sehr traditionalistisch anmutenden proletarischen Hochkultur vor. Kunst und Kultur hatten nach ihrer Auffassung die erzieherische Aufgabe, als Wegbereiter des menschlichen Selbstvervollkommnungsprozesses unter sozialistischem Vorzeichen zu wirken. (Erhard John, Horst Redeker u. a.)

2. die wachsende Zahl der realistisch und pragmatisch eingestellten Wissenschaftler, die die Massen- und Unterhaltungskultur im Sozialismus als konstitutives und legitimes Element der Lebensweise der werktätigen Schichten ansahen. Sie vor allem waren es, die auf die Entwicklung von objekt- und subjektadäquaten Maßstäben und Analyseinstrumentarien zur Erforschung der populären Kulturphänomene hinarbeiteten. (Helmut Hanke, Günter Mayer, Lothar Bisky, Peter Wicke u. a.)

3. die marginale Position derjenigen Theoretiker, die in Abgrenzung zum altproletarischen Kulturkonservatismus und zum realsozialistischen Kulturpragmatismus am kommunistischen Fernziel als zentralem Fluchtpunkt ihrer Argumentation festhielten. Unter Anknüpfung an die radikalen Seiten des Marxschen Emanzipationsprojektes und die Leistungen der ästhetischen Avantgarde der 20er Jahre suchten sie das Bewußtsein von der Notwendigkeit einer zweiten Kulturrevolution im Sozialismus wachzuhalten, aus der eine von den Massen getragene moderne, produktivistische (Alltags)Kultur hervorgehen sollte – jenseits einer bürgerlichen oder sozialistischen Erbauungs- und einer passivistischen und konsumistischen Unterhaltungs- und Massenkultur. (Lothar Kühne)

Eine mögliche vierte Position blieb in der öffentlichen wissenschaftlichen Diskussion aus verständlichen Gründen unartikuliert: daß die Entwicklung einer internationalisierten Massenkultur tatsächlich eine wirkungsvolle Infragestellung des Sozialismus und seiner Bedürfnispolitik beinhalten könnte, daß die massenkulturellen Entwicklungen zwar auf Dauer nicht ignoriert werden können, sich aber auch nicht einfach der sozialistischen Ordnung assimilieren lassen. Die cineastische Niederkunft von E.T. in der Kulturlandschaft der DDR – das barg irdische Abgründe, auch wenn sie sich empirisch nur schwer dingfest machen lassen.

Bei Durchsicht der von Haible angeführten Stellungnahmen erweist sich der Erkenntnisfortschritt vielfach als Prozeß der fortschreitenden Anerkennung der immer weniger zu verleugnenden und auch durch kulturpolitische Eingriffe nicht mehr rückgängig zu machenden Realität einer von westlichen Produktionen bzw. Leitbildern dominierten Massen- und Unterhaltungskultur im Sozialismus. Während sich spätestens in den 80er Jahren zunehmend eine Entkoppelung der praktizierten Alltagskultur und der propagierten Systemkultur vollzog – die sich am auffälligsten in der allabendlichen Wahl des präferierten westdeutschen Fernsehprogrammes manifestierte –, waren die meisten Theoretiker immer noch um den Aufweis positiver Beziehungen zwischen diversen Elementen der Unterhaltungskultur und der sozialistischen Gesellschaftsordnung bemüht. Daß diese Versuche mitunter skurrile sprachliche Blüten hervortrieben, sei durch ein vom Autor wiedergegebenes Zitat von Peter Hoff zum Thema "Happy-End" illustriert: "Für die sozialistische Gesellschaftsordnung kann sich im Happy-End jener Grundzug der marxistisch-leninistischen Weltanschauung widerspiegeln, der alle gesellschaftlichen Widersprüche als grundsätzlich lösbar betrachtet." Schade nur, daß der Autor keinen Sinn für die in dieser und in mancher anderen Aussage eingelassenen Momente marxistisch-leninistischer Komik aufbringt.

Auf den spezifischen Diskurszusammenhang, in dem die Stellungnahmen eingebettet waren und aus dem sich ihr systemeigener Doppelsinn speiste, geht Haible leider nur gelegentlich ein. Auch die Einbeziehung des kultur- und zeitgeschichtlichen Kontextes fällt sehr dürftig aus. Durch die Fülle der angeschnittenen Themen begibt sich der Autor zudem selbst der Möglichkeit einer gründlicheren Prüfung und Verortung der vorgebrachten Argumente. Die schlichte Hinnahme der meisten Äußerungen als Sachaussagen scheint mir keine geeignete Methode, um die Sinnschichten der Beiträge freizulegen. Haible scheint sich wohl auch deshalb mit diesem Vorgehen zu begnügen, weil er in vielen Aussagen tragfähige Bausteine für eine materialistische Medien- und Kulturtheorie vermutet. Einen Beweis für diese These liefert das Buch aber nicht. Wer jedoch einen informativen Einstieg in die kulturtheoretische Diskussion der Massenkultur in der DDR sucht und die vom Autor in die Buchfassung übernommenen stilistischen und lesetechnischen Hürden zu nehmen bereit ist, dem kann die Studie ein nützlicher Wegweiser sein.

Literatur

Haible, Wolfgang (1993): Schwierigkeiten mit der Massenkultur. Zur kulturtheoretischen Diskussion der massenmedialen Unterhaltung in der DDR seit den siebziger Jahren. Mainz: Decaton Verlag.

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