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Henri Band

Rezension zu: Thymian Bussemer: Propaganda und Populärkultur

Rezension erschienen in: Berliner Debatte INITIAL. Sozial- und geisteswissenschaftliches Journal. 12. Jg. (2001) Heft 3, S. 127f.

© Henri Band

In den klassischen Totalitarismusanalysen gilt die durch monopolisierte Massenmedien verbreitete Propaganda als ein zentrales Merkmal faschistischer und kommunistischer Diktaturen. Die dabei zumeist unterstellte durchschlagende Wirkung der Propagandamaschinerie auf große Teile der Bevölkerung schien die schlimmsten Befürchtungen über die Verführbarkeit der Massen durch geschickte Demagogen zu bestätigen. Daß diese Demagogen ihre Anregungen oftmals aus dem Fundus massenpsychologischer und massenkulturkritischer Literatur bezogen, galt als ein weiterer Beweis dafür, daß die stets mögliche Manipulation der Massen nur eine Frage der Beeinflussungstechnik und der Kontrolle über die Medien sei. Die Auffälligkeit und allgegenwärtige Präsenz des Propagandaphänomens in diesen Gesellschaften zeitigte einen paradoxen Effekt: sie verführte und deformierte das geschichts- und kommunikationswissenschaftliche Denken über Propaganda selbst. In beiden Disziplinen dominierte lange Zeit eine deterministische Auffassung von der Wirkungsweise der Propaganda, die einem Menschenbild geschuldet war, das sich kaum von dem der Agitatoren unterschied.

Zu dieser kritischen Bilanz kommt Thymian Bussemer in seiner kommunikationswissenschaftlichen Arbeit "Propaganda und Populärkultur. Konstruierte Erlebniswelten im Nationalsozialismus". Auch die traditionelle Forschung zur nationalsozialistischen Propaganda macht da keine Ausnahme: Sie klammert weitgehend die Rezipienten und die Rezeptionsformen der Propaganda aus ihrer Betrachtung aus, indem sie einfach von den Intentionen der Macher auf die Reaktionen des Publikums schließt; sie neigt zur systematischen Überschätzung der manipulativen Wirkung der Propaganda auf die Adressanten; sie faßt die Wirkungsrichtung der Propaganda nur vertikal und eingleisig auf (von oben nach unten und nicht von unten nach oben) und sie ist auf die manifesten politisch-ideologischen Inhalte fixiert, so daß ihr die vorpolitischen aber keineswegs politisch irrelevanten populärkulturellen Propaganda- und Veranstaltungsformen entgehen, die erst die Attraktivität der Botschaften sicherstellen, jedoch auch in einem spannungsvollen Verhältnis zur offiziell propagierten Ideologie stehen können.

Diese einseitige Sicht auf die NS-Propaganda wurde allerdings in den letzten drei Jahrzehnten vor allem dank der Arbeiten von Historikern wie Martin Broszat, Detlev Peukert, Ian Kershaw u. a. sowie einer deutlich verbesserten Quellenlage bereits aufgebrochen. Und auch in den Kommunikationswissenschaften ist seit einiger Zeit die rezipientenorientierte Medienwirkungsforschung auf dem Vormarsch. Trotzdem, so der Autor, weise gerade die kommunikationswissenschaftliche Propagandaforschung immer noch erhebliche Defizite und Leerstellen auf.

Bussemer plädiert in seinem Buch für eine historisch informierte kommunikationswissenschaftliche Propagandaforschung, die dem Publikum und den Rezeptionsprozessen mehr Aufmerksamkeit schenkt. Dafür bedarf es einer binnendifferenzierten Sicht auf die NS-Propaganda, sowohl in historischer als auch in sozialer Perspektive. Der Verfasser unterscheidet drei Phasen der NS-Propaganda (S. 13ff.): Politische Agitation und Parteienwerbung (19291933), Integrationspropaganda (19331938/39) und Kriegspropaganda (19391945). In diesen Stadien weichen die Inhalte, Techniken, Verbreitungsmethoden und Rezeptionsweisen der NS-Propaganda beträchtlich voneinander ab. Im Mittelpunkt der Studie steht die Integrationspropaganda, die auf eine "Kombination von Unterhaltungsangeboten und Aufbaurhetorik" setzte. Sie war die erfolgreichste Variante der NS-Propaganda. Ihre Attraktivität für breite Bevölkerungsschichten rührte aber nicht daher, daß in dieser Zeit die Propagandamaschinerie am perfektesten funktionierte, sondern weil sie partiell auf die Bedürfnisse der Bevölkerung einging und Formen der Populärkultur integrierte. Mit Blick auf diese Phase formuliert der Autor seine alternative Sicht auf die nationalsozialistische Propaganda als ein kommunikatives System, in dem zwischen den Primärkommunikatoren und den Rezipienten diskursive Prozesse über die Bedeutungen der Botschaften und die Ansprüche beider Seiten stattfanden (S. 46f.).

Um diesen komplizierten, eher informellen Aushandlungsprozeß zu erfassen und die grundlegenden Rezeptionsformen zu umreißen, greift Bussemer auf das inzwischen selbst etwas in die Jahre gekommene Methodenarsenal der Cultural Studies zurück. Das Encoding/Decoding-Konzept von Stuart Hall liefert ihm die Unterscheidung von drei prinzipiell möglichen Rezeptionsmodi einer Botschaft: dominant, verhandelnd und oppositionell. Zudem adaptiert er das pleasure-Konzept, das die Anziehungskraft massenmedialer Botschaften erklären hilft. Das in den Cultural Studies zentrale Analysemuster des Widerstreites der Kräfte von incorporation und resistance überträgt Bussemer schließlich auf die NS-Propaganda der dreißiger Jahre: "Auf der einen Seite stand das hegemoniale Streben der neuen Machthaber, auf der anderen die partielle Widerständigkeit traditioneller Sozial- und Wertegemeinschaften." (S. 74) Zwischen diesen beiden Seiten habe sich ein durchaus konfliktärer semiotischer Verhandlungsprozeß abgespielt, der zur Anpassung der Machthaber und der Propaganda an Elemente der Populärkultur, aber auch zu deren Instrumentalisierung führte und dem nationalsozialistischen Regime eine hohe Akzeptanz bei der Bevölkerung sicherte (S. 91ff.). Zugleich blieb es den Rezipienten in einem nichtöffentlichen, beschränkten Rahmen möglich, sich von der nazistischen Ideologie zu distanzieren und einen "parasitären" Gebrauch von der Propaganda zu machen, ohne allerdings in eine offene Opposition zum Regime zu treten (S. 114ff.). Dieses prekäre Verhandlungsgleichgewicht zerbrach erst in den Kriegsjahren, besonders nach Stalingrad, als der soziale Kompromiß aufgekündigt wurde und die NS-Herrschaft im wachsenden Maße nur noch durch terroristische Gewalt aufrechterhalten werden konnte.

Die Übertragung des methodischen Repertoires der Cultural Studies auf die Analyse der Propagandaverhältnisse im Dritten Reich ist anregend und vielversprechend, aber nicht unproblematisch. Das ist dem Autor bewußt. Mehrfach weist er darauf hin, daß die diktatorische nationalsozialistische Herrschaft natürlich die Möglichkeiten und Formen einer verhandelnden und oppositionellen Decodierung der Propagandabotschaften drastisch beschnitten hat. Nichts wäre fataler, wenn an die Stelle des Propaganda-Mythos ein Resistenz-Mythos treten würde. Die Blüte von Flüsterwitzen und Gerüchten belegt eben nicht nur die fortdauernde Eigensinnigkeit und Widersetzigkeit von Teilen der Bevölkerung, sondern auch, wie gründlich die Nazis die Bedingungen für eine offene Kommunikations- und Informationskultur zerstört haben. Zudem können abweichende Decoding-Modi der Propagandarezeption und symbolische Widersetzigkeiten ein totalitäres Regime nicht ernsthaft in seinem Bestand gefährden, solange sich die Herrschaftsunterworfenen loyal verhalten und Gehorsam jederzeit erzwungen werden kann (vgl. S. 140f.). Bussemer hat mit seiner Feststellung daher zweifellos recht, daß die "innenpolitischen Eckpfeiler des Regimes nicht ausschließlich auf einem permanenten Trommelfeuer vermeintlich suggestiver Propaganda" beruhten, sondern es angemessener ist, "von einer Trias aus Terror, Propaganda und sozialem Kompromiß zu sprechen" (S. 139). Gleichwohl neigt er am Schluß seiner Arbeit mitunter dazu, die Auswirkungen der von ihm vorrangig thematisierten sozialen und populärkulturellen Zugeständnisse auf die Handlungsfähigkeit des Regimes zu überschätzen, so wenn er behauptet, die Blitzkriegsstrategie wäre vor allem ein Versuch gewesen, "den Deutschen die Belastung eines langen Krieges zu ersparen", und die schließliche militärische Niederlage Deutschlands in einer etwas dunklen Formulierung auch darauf zurückführt, "daß die Führungsclique des Regimes wußte, wie fragil der Konsens mit den Massen war" (S. 139 und 140). Dieser war, was die Folgebereitschaft in den und im Krieg betraf, leider nicht fragil genug. Oder schlimmer noch: die Kriegsmaschine funktionierte weitgehend ohne einen breiten Konsens mit den Massen, was den Krieg als solchen, nicht jedoch seine Ziele betraf. Diese Folgebereitschaft einer keineswegs kriegsbegeisterten Bevölkerung abzutrotzen, zeigt, worin die eigentliche verhängnisvolle innenpolitische Leistung der nationalsozialistischen Diktatur bestand: in der ganz praktischen Macht, die Massen militärisch und paramilitärisch zu mobilisieren, zu disziplinieren und, über alle Widersetzigkeiten hinweg, in ein hypertrophes Weltkriegsabenteuer zu stürzen, das mit einer totalen Niederlage enden mußte.

Literatur

Bussemer, Thymian (2000): Propaganda und Populärkultur. Konstruierte Erlebniswelten im Nationalsozialismus. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag.

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